Sehr geehrte, liebe Verwandte,
Im März 2021 würde unser Vorfahre Heinrich Zschokke zweihundertfünfzig Jahre alt. Die Zschokke-Gesellschaft fragte meinen Bruder Adrian und mich an, ob wir zu diesem Jubiläum einen Film über ihn drehen möchten.
Nachdem wir uns eingelesen haben in sein Werk und in die damalige Schweizer Geschichte, kamen wir zum Schluss: Doch, ja, wir möchten.
Er ist eine faszinierende Figur: Im neunzehnten Jahrhundert einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren – Goethe und die Romantiker haben ihn um seine Auflagenzahlen beneidet –, in viele Sprachen übersetzt, in Russland, England, Frankreich, Italien und Amerika gefeiert. Daneben ein politisch engagierter Republikaner, der an der Gestaltung der modernen Schweiz kräftig mitgewirkt hat, ja als „Wegbereiter der Freiheit“ bezeichnet wird – und heute trotzdem mehr oder weniger vergessen.
Das möchten wir ändern und laden hiermit alle Zschokkenachkommen weltweit ein mit der Bitte, aus verwandtschaftlicher Solidarität am Entstehen des Films mitzuwirken und am Ende November 2019 möglichst zahlreich nach Aarau zu kommen und uns zu helfen, eine bombastische Ouvertüre drehen zu können: Ein Treffen der Nachkommen in der Tradition der Zschokketage, wie es sie früher gegeben hat.
Als ich Kind war, in den fünfziger und sechziger Jahren, wurden dann und wann Zschokketage veranstaltet. Es gehörte sich für Familienangehörige, daran teilzunehmen. Wohl die wenigsten verbinden heitere Erinnerungen damit. An einem „großen Zschokketag“ – wenn alle Nachkommen Heinrichs geladen waren – kamen Hunderte von Leuten zusammen. An „kleinen“ wurden jeweils nur die Nachkommen eines einzigen seiner Kinder eingeladen. Doch selbst da versammelten sich jeweils immer noch mindestens hundert Leute (Zschokke hatte zwölf Söhne und eine Tochter, von denen die meisten ebenfalls wieder sehr fruchtbar waren). Lauter fremde Erwachsene, die auf mich zukamen, das Schildchen, das mir um den Hals hing (auf dem mein Name und meine Abstammung stand) anstarrten und sagten, aha, Ast Achilles also?! Ich bin Vetter Oskar, Ast Theodor. Oder: ich bin Base Vrony, Ast Emil, meine Großmutter väterlicherseits war die Schwester deines Urgroßvaters usw. Meine Geschwister und ich fanden das alles eher peinlich; meine Eltern versuchten, es ernst zu nehmen, glaubten insgeheim aber wohl auch nicht so recht daran.
Verzeiht, dass wir euch genau für diese irritierende Situation zu begeistern versuchen: Ein Zschokketag 2.0, den wir in Live-Mitschnitt-Manier dokumentieren möchten (völlig unaufdringlich, mit kleinen Kameras, ohne jeden Druck). Wir versprechen, keine Spielfilmsituation herzustellen, es wird keine Wartezeiten geben, keine Wiederholungen, nichts wird extra ausgeleuchtet, nichts wird künstlich hergestellt – außer natürlich das Programm, das geboten wird und das abwechslungsreich, kurzweilig und spannend werden soll für ein Publikum ohne jedes Vorwissen (so wie es im Kino zu erwarten ist und wie es wahrscheinlich auch die meisten von uns sind.)
Erste Skizze zum Programm:
– Eine Begrüßung des Z-Gesellschaftspräsidenten (vielleicht im Freien, vor der Zschokkestatue in Aarau), der den angereisten Gästen erklärt, dass Zschokke zweihundertfünfzig Jahre alt wird und dass wir uns freuen, so viele Nachkommen begrüßen zu können, denen wir ihren Vorfahren in kurzen Zügen vorstellen möchten.
Danach Umzug in einen großen Festsaal, in dem in Kürzestvorträgen verschiedene Aspekte von Zschokke vorgestellt werden. Ein Literaturhistoriker erklärt anhand von zwei, drei Beispielen den Bestsellerautor Zschokke, ein Historiker versucht uns in kurzen Zügen die
verworrene Geschichte der Schweiz in den Jahren der Helvetik (ab 1798) bis zur Gründung der Schweiz in heutiger Form (1848) verständlich zu machen. In der Art werden auch andere Bereiche beleuchtet, alles in kurzen Spots, die unterbrochen werden von Zschokke-Kompositionen (Z. hat auch komponiert).
– Wenn wir das Glück haben, von einem der Verwandten S-8-Filme oder Dias zu kriegen von einem jener Zschokketage, an die ich mich erinnern kann, würden wir auch die vorführen und später im Film verwenden.
– Außerdem bieten wir ein Programm an für Kinder, in dem mit den geschnitzten Kasperlefiguren von Helmut Zschokke, die im Schlössli Aarau ausgestellt sind (unbedingt sehenswert), unter anderem eine besonders schaurige Szene aus Zschokkes „Abaellino“ gespielt wird – das ist ein Räuberschauspiel, mit dem er Ende des 18. Jahrhunderts einen Riesenerfolg hatte. Selbst Goethe musste es in Weimar aufführen, weil der Hof und die Bürger unbedingt sehen wollte, was in ganz Deutschland ein solches Aufsehen erregt.
– Zum Schluss gibt es einen großzügigen Aperitif und – in klassischer Zschokketag-Tradition – „geselliges Beisammensein“.
Das alles wird filmisch festgehalten – wie gesagt: in Dokumentarfilmmanier., Worum es hauptsächlich geht, sind die verschiedenen Programmpunkte, die einerseits das Publikum unterhalten sollen (zuerst einmal das anwesende, später auch den Filmzuschauer) und andererseits uns später die Möglichkeit eröffnen, von jedem Spot ganz selbstverständlich in Spielfilmszenen aus Zschokkes Leben schneiden zu können.
Um dem Ganzen optischen Zusammenhalt zu verleihen, werden wir euch bitten, möglichst einheitlich gekleidet anzukommen (beispielsweise in Schwarz-Weiß). Solche Details – wie auch das ausgearbeitete Programm – würden später folgen. Erst einmal möchten wir erfahren, wer Lust hat mitzuwirken, damit wir sehen, ob die Idee überhaupt realisierbar ist oder ob wir komplett umplanen müssen.
Mit herzlichen Grüßen und der Bitte um eine hoffentlich positive Antwort
Matthias Zschokke
Adrian Zschokke
P.S. Wir danken der Heinrich Zschokke Stiftung dafür, dass sie uns die Adressen für diesen Versand zur Verfügung gestellt haben.